Vortrag auf 1.Tiroler Familienkongress, 18.10.08
Von Jürgen Liminski
Erlauben Sie mir vorweg zwei kleine Bemerkungen.
Ich stehe hier als politischer Publizist und vor allem als Familienvater. Ich vertrete also niemanden und unterstütze deshalb auch keine Organisation. Ich finde überhaupt, dass es anerkennenswert ist, dass solche Kongresse stattfinden, auch wenn sie dem einen oder anderen Aspekt der politischen Korrektheit zuwiderlaufen.
Aber wenn man immer darauf schaut, in welchem Umfeld man redet, dann unterwerfen wir uns den Diktatoren der öffentlichen Meinung. Man sollte ihnen mit Voltaire, den ich ansonsten wegen seiner Kirchenfeindlichkeit nicht so gerne mag, sagen: Sir, geben Sie Gedankenfreiheit. Die ist hier gegeben, dafür mein herzlicher Dank.
Die aktuelle Krise, die noch keineswegs beendet ist, hat mich angeregt, das Thema leicht zu verändern. Familie kann nicht nur gelingen, Familie muss gelingen, wenn wir weiter in einer freiheitlichen Gesellschaft leben wollen. Und die Grundlage dafür ist genau das, was wir bei den Banken, bei Staat und Markt heute vermissen: Vertrauen. Deshalb ist Familie nicht nur eine Schatzkammer des Glücks, sondern auch des Vertrauens, ja Vertrauen ist die Voraussetzung für das persönliche Glück. Wir müssen wieder über Vertrauen, über die materia prima reden, den Stoff, aus dem unsere Glücksträume sind. Vertrauen ist die Währung des Lebens.
Soweit die Vorbemerkungen und mit dem Thema „Vertrauen“ bin ich schon beim ersten von fünf Punkten:
Vertrauen – Währung des Lebens.
Ein Ergebnis der Krise lässt sich bereits ausmachen: man pocht wieder stärker auf eine Freiheit mit Verantwortung im Marktgeschehen. Die berühmte „unsichtbare Hand“, die dieses Marktgeschehen nach der Vorstellung von Adam Smith, dem Vater der Volkswirtschaftslehre, im Sinne des Wohlstands der Nationen lenke, dürfe nicht nur in die eigene Tasche wirtschaften. Smith hat die Folgen vorausgesehen und vor der Versuchung des Reichtums gewarnt: Die kommerzielle Gesinnung enge den Geist des Menschen ein, schrieb er, „und die heroische Gesinnung erstickt“.
Der Markt funktioniert nicht ohne Vertrauen und Werte. Vertrauen gehört zu den Voraussetzungen, die der Staat nicht schaffen kann, von denen er aber lebt. Es entsteht wie alles Humanvermögen – man könnte auch sagen wie alle Daseinskompetenzen – zuerst in der Familie. Dort ist es zu Hause. Die Familie ist Quelle und Nährboden der Grundtugenden. Sie prägt den Menschen. Darüber sind sich auch neoliberale Ökonomen einig. Friedrich August von Hayek hat das einmal in den Satz verdichtet: Die zwei wichtigsten Institute einer freien Gesellschaft seien erstens das private Eigentum und zweitens die Familie. Und deshalb ist auch die Folgefrage berechtigt: Warum kann man für die (notwendige) Rettung von Banken so schnell, so viel Geld zusammenkarren und zeigt man sich bei Familien und ihrem Existenzminimum so knauserig, wo es bei ihr doch um die Grundlagen und Voraussetzungen einer menschlichen Gesellschaft geht? Auf diese Frage sollte die Politik noch eine Antwort finden, wenn sie nicht nur Feuerwehr spielen will.
Die Liebe als Schöpfungsquelle von Vertrauen und Glück
Solidarisches Verhalten habe mit Gemeinschaft, mit Teilen und mit Liebe zu tun. Das lerne man eben zuerst in der Familie, der kleinen Gemeinschaft zu Hause. Das ist doch nur eine Frage der Wertevermittlung, hört man da sagen. Und könne Wertevermittlung nicht auch in der Arbeitswelt oder der größeren Solidargemeinschaft namens Gesellschaft geschehen? Und können nicht auch professionelle Erzieher den Kindern Solidarität beibringen? Kaum, oder nur bedingt, denn die Gesellschaft ist im Vergleich zur Familie ein Kollektiv ohne Gesichter, ohne Namen. Die Familie dagegen sieht die Person, hier wird die Konstante der persönlichen Beziehung lebendig, die Werte sichtbar macht und zeigt, wofür und für wen man sie lebt. Gesellschaft ist namenlose Sachgemeinschaft, sie erzeugt weder Liebe noch Solidarität, sie lebt aber von ihr. Dieser Unterschied ist wesentlich.
Nobelpreisträger Gary Becker sagte es auf einem Kongress in Berlin vor zwei Jahren so: „Das grundlegende Humanvermögen wird in der Familie erzeugt. Die Schule kann die Familie nicht ersetzen“. Ichmöchte hinzufügen: Auch die ganztägige Fremdbetreuung in Horten und Krippen kann das nicht.
Kommunikation und emotionale Stabilität sind also die Voraussetzung für die Bildung von Persönlichkeit oder von Humanvermögen. Ohne das läuft die Schulbildung ins Leere. Wenn heute jedes fünfte Kind in Deutschland Verhaltensstörungen aufweist, dann sind die Ursachen weniger in der Schule als an den frühen Orten der Gefühlskultur zu suchen.
Die Mutter, Seele und Managerin der Familie
Paul Kirchhof schreibt im Vorwort des Buches Abenteuer Familie: „Wer das Glück sucht, findet die Familie“. Dort ist die Menschlichkeit, die Liebe zu Hause. In der Tat, diese Begegnung mit dem Glück fängt nachweislich schon bei der Geburt an.
Mit Müttern hat man kein Mitleid, schreibt selbst der Herold des Sowjetsystems Maxim Gorki in seiner wunderbaren Novelle „Die Mutter“. Diese Diskriminierung ist unmenschlich, sie verneint die Identität der Mütter, sie verneint die Identität des Humanum, sie verweigert die Anerkennung einer Leistung, ohne die die Gesellschaft nicht leben kann. Die Mütter sind es, die die Voraussetzungen schaffen, von der der Staat lebt und die er selber nicht schaffen kann. Sie vor allem sind es, die das Humanvermögen bilden, sie sind es, die mit ihrer selbstlosen Liebe das Familienglück managen.
Die Wechselwirkung zwischen Liebe und Glück
Wo begegnet der Mensch der selbstlosen Liebe, wie lernt er sie leben? Die Familie ist der Ort der selbstlosen Liebe. In der Familie erlebt der Mensch die erste Erfahrung der Liebe. Das fängt an mit der Annahme des Kindes – keine Selbstverständlichkeit in der heutigen Verhütungsgesellschaft. Keine Selbstverständlichkeit ferner in einer Gesellschaft, in der das soziale Ansehen der Frau an Kerl, Konsum, Karriere – den drei „Ks“ der Emanzipation – gemessen wird. Annehmen, auch wenn es schwer fällt, weil das Kind behindert ist oder schon das sechste oder das zweite Kind ist, weil es ein Junge und kein Mädchen ist, oder umgekehrt. Bedingungslos annehmen und bedingungslos geben.
Operationen am offenen Herzen
Es geht längst nicht mehr nur um Werte. Wenn Wirtschaft und Politik sich weiterhin weigern, den Zusammenhang zwischen Familie und Humanvermögen zu sehen, dann laufen auch alle Reformen der Sozial- und Bildungssysteme ins Leere.
Die Familie ist jedenfalls der Hort der selbstlosen Liebe. Familie ist eine Herzensangelegenheit, sie ist der Raum, in dem Liebe lebt. Mit ihrer Familienvergessenheit operieren manche Politiker am offenen Herzen der Gesellschaft, oft ohne es zu wissen.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen der „ersten Produktionsstätte“ des Humanvermögens, der Familie und der freiheitlichen Gesellschaft. Montesquieu zog in seiner Betrachtung über das Ende des Römischen Reiches schon folgende Kausalkette: Ohne Familie keine wirksame Erziehung, ohne Erziehung keine Persönlichkeit, ohne Persönlichkeit kein Bewusstsein für die Freiheit. Und deshalb kann Familie nicht nur gelingen, sie muss gelingen. Ich danke für die Aufmerksamkeit.