Sexualpädagogen sagen, dass Sexualaufklärung, d.h. das rechtzeitige Kennenlernen der biologischen Vorgänge des Sexuallebens, die wichtigste Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung in der Phase der Adoleszenz ist. Doch das stimmt nur in sehr begrenztem Maße. Es mag richtig sein, dass ein Jugendlicher, der kaum oder falsch aufgeklärt wurde, es schwerer hat, mit den realen Erfahrungen fertig zu werden. Wenn es einem jungen Menschen schwerfällt, vertrauensvolle Beziehungen zu knüpfen, dann nützt ihm auch die beste Aufklärung wenig. Während ein junger Mensch, welcher natürliche und vertrauensvolle Beziehungen zum anderen Geschlecht erlebt, seinen Weg auch dann findet, wenn die scheinbar unentbehrliche Aufklärung ausbleibt.
Sexuelle Bildung kann nur die physiologischen Vorgänge beschreiben. Man kann und soll einem Kinde, vielleicht mit Hilfe von Illustrationen erklären, wie der Embryo im Mutterleib wächst und wie die Vorgänge der Befruchtung und der Geburt vor sich gehen. Von der Erfahrungswelt und dem immensen Spannungsfeld der Gefühle, in die es eintritt, und von der enormen Kraft und Dynamik der Liebe und Sexualität, kann man dem Kinde nur wenig vermitteln. Es versteht davon so wenig, wie wenn ich einem Volksschüler die Gewalten der Natur erkläre. Die Vorbereitung auf das konkrete sexuelle Erleben darf daher keine Vorbereitung auf die bloße Geschlechtsreife sein, denn die Geschlechtsreife betrifft die gesamte Persönlichkeit des Menschen, seine physische und geistige Reife. Das Ziel muss sein, den jungen Menschen auf das Leben vorzubereiten, sodass er selbständig Verantwortung für sich und andere übernehmen lernt.
Sexualität kann, wenn sie durch aufrichtige Liebe getragen und verantwortlich gelebt wird, das innere Wachstum und das Streben nach einem sinnvollen und erfüllten Leben sehr fördern. Unreife, unaufrichtige Liebe und promiskuitives, risiko-trächtiges Sexualverhalten zerstört hingegen die Träume, die Hoffnungen, das Leben und die Beziehungen der jungen Menschen. Es muss das Ziel einer verantwortlichen sexuellen Bildung sein, Jugendliche zu ermutigen, zuerst ihren Charakter und ihre Persönlichkeit zu bilden und Vertrauensbeziehungen aufzubauen, bevor sie sexuelle Erfahrungen machen.
In Anbetracht dieser unvermeidlichen moralischen Implikationen ist es von zentraler Bedeutung, die Sexualaufklärung unter dem Gesichtspunkt des Charakters und der Werte zu behandeln.
Für Jugendliche, für die Sex ein alles absorbierendes Thema ist, ist die Stärkung ihres Charakters und ihrer Persönlichkeit ein umso wichtigeres Thema. Eine Synergie zwischen Charaktererziehung und Sexualaufklärung, die einen guten Charakter fördert und gleichzeitig ein verantwortungsvolles Sexualverhalten unterstützt, ist daher gefragt.
Eine solche Sexualethik erkennt die moralischen Implikationen der Sexualität in ihrer erfüllenden, als auch zerstörerischen Weise, und das tiefe Bedürfnis jedes Menschen nach Intimität, Bindung und dauerhafter Liebe. Die Erziehung zu einer solchen Ethik fördert die Entwicklung des Charakters. Sie fördert Respekt und Wertschätzung des Körpers und der Sexualität.
Eine klare Unterscheidung zwischen Geschlecht und Charakter hilft, dieses Problem und die damit verbundenen Fallstricke besser zu verstehen. Wenn ein Mensch das Geschlecht als eine Konstruktion, als Mittel zum Zweck betrachtet, wird er einen Menschen des anderen Geschlechts nicht als wirkliche Menschen verstehen und behandeln. Er wird lediglich ein Objekt, ein Konstrukt sehen, das seine Bedürfnisse und emotionalen Mängel auffüllt. Auf diese Weise macht er den Sex und die menschliche Beziehung zu einem Mittel zum Zweck und ein Mittel zur Befriedigung seiner sexuellen Wünsche sehen. Er vergisst, dass der andere Mensch sein eigenes Leben und Schicksal zu bewältigen hat, seine eigenen Interessen und Bedürfnisse zu berücksichtigen hat, die weit über die Grenzen des Sex hinausgehen.
Ein Mensch, der sich von seinen sexuellen Trieben und seinen Gefühlen beherrschen lässt, anstatt sie zu beherrschen, wird unweigerlich oberflächlich und labil. Oder in der zeitgemäßen Sprache ausgedrückt „fluid“ oder „queer“. Er ist dann ständig damit beschäftigt diese Gefühle zu sublimieren, zu unterdrücken und zu verdrängen. Einem solchen Menschen fehlt der Mut, den Erfahrungen im wirklichen Leben zu begegnen und die Dinge in den Mittelpunkt zu stellen, die ihm wichtig sind.
Ein Mensch mit einem gesunden Selbstwertgefühl versteht intuitiv, dass das Leben des anderen und seine Probleme genauso viel Respekt, Interesse und Aufmerksamkeit verdienen wie sein eigenes Leben und seine eigenen Probleme. Das Res-pekt und die Achtung der Würde des Menschen auch für die sexuelle Liebe von zentraler Bedeutung ist, versteht sich von selbst. Die goldene Regel lautet: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen auch!“ (Mt. 7.12)
Die Vorbereitung auf das konkrete sexuelle Erleben darf keine bloße Vorbereitung auf die Geschlechtsreife sein, denn die Geschlechtsreife betrifft die gesamte Persönlichkeit des Menschen. Vielmehr soll es das Ziel sein, den jungen Men-schen zu ermutigen, Verantwortung für sein Leben zu über-nehmen.
Im Buch; "What It Means To Grow Up - A Guide In Understanding The Development of Character (English Edition)" schreibt Fritz Kunkel: "In jeder Liebesbeziehung trägt jeder der beiden Beteiligten eine hundertprozentige Verantwortung für die Richtung ihres Lebens und für das Schicksal ihrer gegenseitigen Liebe. Alles in allem ist die Verantwortung also doppelt, also zweihundertprozentig" – "Wenn es mehr unglückliche Paare als glückliche, entwicklungsfähige gibt, dann liegt das einzig und allein daran, dass so wenige Menschen heute in der Lage sind, die Verantwortung für ihr eigenes Handeln auf sich zu nehmen, geschweige denn, für das einer Partnerschaft. Der Grund für dieses Scheitern ist einmal mehr mangelnder Mut, zu geringe Spannungskapazität, Unfähigkeit zu warten und Egozentrik."