Oder – wie Eltern rechtfertigen, dass sie ihrer Arbeit mehr Bedeutung einräumen als der Familie.
Das Institut für Jugendkulturforschung hat im Auftrag von SOS-Kinderdorf (2018/2019) in einer österreichweiten Umfrage festgestellt, dass 88 % der Familien unter Druck stehen und zwischen Zukunftsangst und Zeitmangel hin und her pendeln. 45 % der Jugendlichen haben Angst, im Leben nichts zu erreichen. Jugendliche stehen von allen Seiten unter Leistungsdruck und jedem/jeder zweiten wird der Schul- und Ausbildungsstress oft zu viel.
Diese österreichweite Umfrage hat ergeben, dass sich Jugendliche nach mehr Stabilität und gemeinsamer Familienzeit sehnen. Die Geschäftsführerin Nora Deinhammer von SOS Kinderdorf sagt: „90 % der Jugendlichen empfinden Stress in ihren Familien. Wir stellen bei Jugendlichen eine gefährliche Kombination von Leistungsdruck und Zukunftsängsten fest. Familie sollte aber der Ort sein, wo den Kindern Rückhalt gegeben und Druck von den Schultern genommen wird“.
Viele Menschen vernachlässigen es, angesichts des wirtschaftlichen Drucks, unter dem sie stehen, ausreichend Zeit in die familiären Beziehungen zu investieren. Ihre ganze Aufmerksamkeit ist auf den Beruf und die Karriere gerichtet, sodass keine Zeit mehr für die Beziehung zum Ehepartner und den Kindern bleibt. Wenn die Eltern abends gestresst nach Hause kommen, können sie den Kindern die nötige Aufmerksamkeit gar nicht mehr schenken. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass familiäre Konflikte genährt und Beziehungsängste und Feindseligkeiten geschürt werden.
Die Frage lautet daher nicht, wie der Mensch Beruf und Familie vereinbaren kann, sondern welche Priorität wir dem Beruf und der Familie geben. Ihr Beruf ist verhandelbar, die Rolle in der Familie aber nicht! Ihre beruflichen Rollen und Tätigkeiten mögen sich verändern, nicht aber ihre Rolle in der Familie. Einmal Eltern – immer Eltern! Damit Familie, als kleinste soziale Gemeinschaft sich entwickeln und gedeihen kann, ist die Erfahrung psychischer Verbundenheit und ein wechselseitiges empathisches Verstehen von essenzieller Bedeutung.
Familienpolitiker gehen von der Annahme aus, dass beide Eltern berufstätig sind und ihre Zeit zwischen Familie und Beruf bestmöglich planen können. Allerdings wird von der Politik und Wirtschaft nicht berücksichtigt, dass das menschliche Zusammenleben oft von psychosozialen Konflikten, Beziehungsängsten und Feindseligkeiten bestimmt wird. Die Kosten zerrütteter Familien und die daraus folgenden Beziehungsscherben belasten nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch die breitere Gesellschaft und den Staat. Die Ausgaben für Sozialleistungen, Unterhaltsvorschuss, Bildungs- und Erziehungshilfen, Drogen- und Gewaltprävention wachsen kontinuierlich. Die Zahl an Ehescheidungen und Patchwork-Familien sind ein Ausdruck dafür, dass das „System Familie“ sehr instabil geworden ist und oft Misstrauen unter den Familienmitgliedern vorherrscht. Die statistisch nachgewiesenen Auswirkungen der Familienzersetzung sind unter anderem erhöhte Wahrscheinlichkeit von Depression, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Bildungsschwäche und Armut.
Das Problem der Politiker und Sozialwissenschaftler besteht jedoch nicht darin, diese Zahlen und Fakten nicht zu kennen, sondern sie richtig zu bewerten und dann echte Lösungen für die realen Beziehungsprobleme zu finden, um die Schwächung und Instabilität des „Systems Familie“ anzugehen.
Die Familienforschung ihrerseits sieht nur einen strukturellen Wandel der Familie und behauptet, dass es keinen Verlust von Familienwerten gäbe. Unter der Individualisierung versteht die Wissenschaft keinen zunehmenden Egoismus oder Ich-Bezogenheit, sondern die „ambivalente“ Zunahme an Gestaltungsfreiräumen und -freiheiten des Individuums. Sie ist weitgehend blind für die Beziehungsebene und die Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung und bietet daher keine Antworten auf die realen zwischenmenschlichen Probleme.
Neue Familienmodelle verschleiern Grundproblem
Die Beziehungen, sowohl in traditionellen Familien als auch in allen anderen Familienformen, sind gehörig aus der Balance geraten und oft von unreifer Liebe und Ressentiments geprägt.
Patchwork-Konstellationen sind in der Regel aus Beziehungskonflikten in der eigenen Familie bzw. der Herkunftsfamilie hervorgegangen. Kein Paar hat jemals geheiratet mit dem Ziel, sich bald wieder scheiden zu lassen, um eine Patchwork Familie zu gründen. Viele Menschen ignorieren den eigenen Anteil am Scheitern einer Beziehung und geben dem Partner die Schuld oder sie sagen: „Es hat einfach nicht gepasst.“ Manche Familientherapeuten und Psychologen behaupten: „Wenn eine Beziehung scheitert, hat das nie etwas mit einer persönlichen Schuld zu tun. Wir werden aus dem Unbewussten von Kräften gesteuert, gegen die wir mit unserem Wollen nur wenig ausrichten können.“ Durch diese Art des Schönredens, wollen sie zwar ihre Klienten entlasten, nur funktioniert das nicht. Die inneren Probleme und falschen Verhaltensmuster bestehen weiter und sie kommen in einer späteren Beziehung erneut zum Vorschein.
Die traditionellen und liberalen Kräfte betonen ständig das Recht auf Freiheit, Gleichheit, Liebe und Leben, die menschliche Verantwortung für das eigene Leben – das Leben der Anderen wird nur in einem Nebensatz erwähnt. Liebe ist nicht gleich, sie kennt große Qualitätsunterschiede. Die Behauptung, dass jeder Lebensstil gleichwertig sei, ist deshalb nicht richtig, da ein Lebensstil, der auf einer egoistisch motivierten Liebe baut, zu einem anderen Resultat führt, als ein Lebensstil, der das Glück des Anderen zum Ziel hat. Der erste führt zu Enttäuschung und Trennung, der andere in eine vertraute Bindung und Erfüllung.
Liebe, Leben und Sexualität sind keine Frage des Rechts, sondern eine Frage der Reife! Der Grund, dass so viele am „idealen“ Modell der Vater- Mutter- Kind Familie scheitern, liegt nicht am Modell selbst, sondern an der Unreife der Beteiligten. Es aber deshalb als unerreichbar aufzugeben, wäre für die Gesellschaft fatal. Eine Gesellschaft, die ihre Ideale aufgibt, hat aufgegeben zu leben.
Schlussfolgerung
Die Diskussion um Familie und Beruf wird nur unter dem Blickwinkel von Einkommen, Zeit und Infrastruktur geführt. Ob die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Frauenrechte, die Gleichstellung der Geschlechter oder die Kinderbetreuung, es geht immer nur um rechtliche und organisatorische Fragen und wie Familien ihre Zeit, Interessen und Wünsche am besten managen können. Die Beziehungsebene und die oft belastenden familiären Konflikte und ethisch/moralische Fragen werden weitgehend ausgeklammert.
Familienpolitik muss darauf ausgerichtet sein, dass Eltern ihre zentrale Rolle als Vorbild und Beispiel von Glaubwürdigkeit, als Mentor welche respektvolle Beziehungen leben, als Organisator, welche die familiären Interessen managen und als Lehrer, welche edle und bleibende Werte vermitteln, erfüllen können. Eltern sollen auch über ihre finanziellen und ökonomischen Angelegenheiten frei entscheiden können.
Josef Gundacker
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