Babyhand: Ausbleibende Hilfe kostet zu viel (Foto: pixelio.de/Schmitz) |
Giessen (pte004/14.07.2011/06:10) – Der Gesellschaft kommt es teuer, wenn sie Familien mit schwierigen Vorbedingungen nicht von Anfang an unter die Arme greift, wo dies nötig ist.
Das berichten Forscher der Universität Giessen http://uni-giessen.de . Im Auftrag des Zentrums für Frühe Hilfen http://www.fruehehilfen.de haben sie die Kosten und Nutzen von Prävention in den ersten drei Lebensjahren mit den Folgekosten einer Gefährdung des Kindeswohls verglichen. Gute Prävention bei hohem Risiko kostet 7.200 Euro. Bleibt sie aus, erhöht sich die gesamte Summe auf mindestens auf das 13-Fache, bei weniger optimistischen Szenarien sogar um das 34-Fache oder noch deutlich darüber, so das Ergebnis.
Biografie der potenzierten Kosten
Anschaulich macht Studienleiterin Uta Meier-Gräwe gegenüber pressetext die Situation am Beispiel einer Frau, die als Teenager Mutter wird. „Oft bricht sie die Schule ab und lebt in Folge von sozialen Transferleistungen. Das Kind bleibt später in dieser Abhängigkeit und schafft keinen Abschluss in der Schul- oder Ausbildung. Noch komplizierter wird es, wenn die Frau Alleinerzieherin bleibt sowie wenn Süchte oder Kriminalität ins Spiel kommen.“ Häufig kommt es auch zur Vernachlässigung und Misshandlung (pressetext berichtete: http://pressetext.com/news/20100525003 ).
Eine denkbar schlechte Ausgangslage für gesundes Aufwachsen und gute Lebensführung, die jedoch nicht selten ist. Als die Giessener Sozialforscher einen gesamten Geburtenjahrgang der Stadt Ludwigshafens untersuchten, identifizierten sie dabei acht Prozent der Kinder als Angehörige einer „Hochrisikofamilie“. Doch auch bei weiteren 15 Prozent könnte „eine gelbe Ampel jederzeit auf Rot umspringen“, wie Meier-Gräwe betont.
Die typische Biografie bei hohem Risiko bedeutet für die Gesellschaft enorme Kosten, die sich im zunehmenden Alter sogar potenzieren. „Schlechte Qualifikation führt oft zu Arbeitslosigkeit oder prekären Arbeitsbedingungen, was geringe Wertschöpfung und Beitragsausfälle der Sozialversicherung bedeutet“, so die Forscherin. Zur ärgsten Kostenexplosion kommt es bei psychischen Erkrankungen – Experten sprechen von über einer Mio. Euro pro Kind – sowie bei Strafffälligkeit.
Stärken statt ersetzen
Anders sieht die Rechnung aus, wenn Jungfamilien in Risikosituationen bereits am Anfang – also ab der Schwangerschaft – gut begleitet werden. „Notwendig ist eine passgenaue Lösung für das stets komplexe Problem. Diese gelingt nur durch enge Zusammenarbeit der Beteiligten wie Ärzte, Sozialarbeiter und Jugendhilfe.“ Die Teenager-Mutter könnte etwa eine Familienhebamme bekommen, die zwei Jahre lang aufsuchende Familienhilfe betreibt und Anschluss zur Arbeitsagentur sowie einer guten Kinderbetreuung herstellt. Ein guter Schulabschluss und ein Beruf mit Zukunftsperspektive seien dann in Reichweite.
„Armut ist kein Schicksal. Kinder können sich trotz widriger Umstände gut entwickeln, solange es bestimmte Schutzfaktoren gibt. Dazu gehören vor allem Personen im nahen Umfeld, die das kompensieren, was die Eltern nicht bieten können“, betont Meier-Gräwe. Ziel sei jedoch immer die Stärkung der Rolle der Mutter oder Eltern, nicht das Übernehmen von deren Aufgabe. „Die Familie liefert weiterhin die wichtigste Sozialisation.“
Paradigmenwechsel nötig
Prävention gelingt nur durch deutlich mehr Weitblick. „In den neuen Bundesländern fehlt der Nachwuchs an Arbeitskräften. Statt iPhone-Prämien für Lehrlinge wären mehr frühe Hilfen sinnvoll, damit es zumindest in 15 Jahren wieder gut ausgebildete Jugendliche gibt.“ Doch auch die Politik müsse in diesem Intervall denken. „Man darf nicht alles auf die schmale Schulter der Kinder- und Jugendhilfe schieben – profitiert doch das Gesundheitssystem am meisten von Prävention.“ Dennoch verweigert das Gesundheitsministerium die Teilnahme am Runden Tisch für das Bundeskinderschutzgesetz, bemerkt die Expertin.
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