Werner Heisenberg sagte einmal:
„Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man alles vergessen hat,
was man gelernt hat“
Nicht erst seit dem Bekanntwerden der PISA Ergebnisse ist deutlich geworden, dass in unserem Bildungs- und Erziehungssystem etwas Grundsätzliches nicht stimmt. Wie ist es zu erklären, dass einerseits unsere Schulen technisch so gut wie nie zuvor ausgestattet sind, die Lehrerausbildung auf dem neuesten Wissensstand ist und trotzdem 28 Prozent der 15/16-Jährigen unzureichend sinnerfassend lesen können? Woran liegt das? – Sind diese Schüler weniger intelligent? Haben die Lehrer zu wenige (spaßige) Konzepte? Herrscht zu wenig Disziplin in den Klassenzimmern?
Egal wie Sie die PISA Studie interpretieren, es zeigt eines, dass sehr viele Schüler Aufmerksamkeitsdefizite und oft wenig Interesse haben zu lesen und zu lernen!
Seit einigen Jahren glaubt man zu wissen, dass die Qualität des Bildungssystems entscheidend von der Qualität der frühkindlichen Bildung abhängt. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder bereits im Kindergarten Bildung erfahren, gezielt lernen und systematisch gefördert werden. Nur, in den Kindergärten wächst die Zahl der Kinder mit Entwicklungsstörungen, Konzentrationsschwächen und seelischen Problemen. Untersuchungen zeigen, zwischen 20 und 25% aller Kindergartenkinder werden als verhaltensauffällig oder psychisch gestört eingestuft; mindestens 5% sind behandlungsbedürftig
Was sind die Ursachen von Konzentrationsschwäche, Aufmerksamkeitsdefiziten und mangelndem Interesse und Lernbereitschaft? Die jüngsten Erkenntnisse aus der Hirnforschung lassen keinen Zweifel daran, wie wichtig der elterliche Einfluss in den ersten Lebensjahren für die weitere und grundsätzliche Entwicklung des Kindes ist. Es wurde nachgewiesen, dass die ersten Beziehungserfahrungen des Kindes für das ganze Leben eine prägende Bedeutung haben.
Das bedeutet, es geht bei der Entwicklung von Kindern von Anfang an um die Qualität von Beziehung. Kinder und Jugendliche haben ein Grundbedürfnis nach Bindung, Orientierung und emotionaler Sicherheit. Wir brauchen Bindung, dann ergibt sich Bildung fast wie von selbst. Wenn die Bindung stimmt, wenn die Basis stimmt wird jeder Mensch sich freiwillig und gerne bilden Es macht einen erheblichen Unterschied, wenn man Bildung von innen her begleitet, oder der Mensch von außen gebildet werden soll auf Grund irgendwelcher Ziele hin.
Die Bildungsproblematik ist eine gesamtgesellschaftliche Problematik. Wenn wir die Beziehungs-, Bindungs- und Kommunikationsfähigkeit der Menschen in unserer demokratischen Gesellschaft beobachten, so sehen wir, dass ein großer Teil der Erwachsenen, quer durch alle Gesellschaftsschichten große Beziehungs- und Bindungsdefizite aufweisen. Wir sind also hier keine guten Vorbilder.
Wie erwähnt, studiere ich dzt. Entwicklungspsychologie am Gordon Neufeld Institute. Gordon Neufeld ist in unserer Zeit einer der weltweit bedeutendsten Entwicklungspsychologen und Bindungsforscher. Er schreibt: „Viele Eltern, Erzieher und Pädagogen mühen sich nach wie vor unter der Fehlannahme ab, sie könnten einfach in die Erzieherrolle hineinschlüpfen. Wir erwarten, dass es genügt, dem Kind die nötige Fürsorge zu geben. Auf den kindlichen Widerstand gegen unsere Erziehung reagieren wir überrascht und gekränkt. Wenn Kinder Lernprobleme haben, so liegt dies nach der Auffassung vieler Experten daran, dass die Eltern die Erziehung nicht richtig angehen. Nach dieser Denkweise fehlen ihnen gewisse Fertigkeiten und know how. Erziehung muss demnach durch alle möglichen Fertigkeiten ergänzt werden.
Die Überlegungen, welche Erziehung mit bestimmten Fertigkeiten gleichsetzen erscheinen logisch, genauer betrachtet ist dies aber ein verhängnisvoller Fehler. Wir neigen zu der Annahme, dass unsere Kinder deshalb nicht auf uns hören, weil wir nicht wissen, wie wir sie dazu bringen können uns zu folgen. Weil wir nicht die richtigen Tricks gelernt haben; dass sie nicht genügend Respekt vor Autorität haben, weil wir als Eltern es ihnen nicht beigebracht haben respektvoll zu sein.
Was ist Bindung und wie funktioniert sie?
Aus Bindung und Beziehung entsteht die notwendige Kraft für jede Handlung, für Vermehrung und unserer gesamten Existenz. Die Beziehung zum Kind ist kein Verhalten das wir lernen, sondern eine Verbindung, die wir suchen müssen. Wenn ein Kind keine Beziehung zu Ihnen als Lehrer findet wird es Ihnen nicht seine Aufmerksamkeit schenken. Es wird zwar in der Situation tun, was Sie verlangen, es wird ihnen aber nicht seine Aufmerksamkeit, sein Herz schenken.
Der Pädagoge Heinrich Pestallozzi definierte die 3 Z in der Erziehung und es war sein Anliegen – ich zitiere: “ Die Eltern sollten befähigt werden, mit dieser Bildung im Elternhaus zu beginnen und ihren Kindern entsprechende Vorbilder sein“. Was sind nach Pestallozzi die 3 Z in der Erziehung?
1. Zeit:Was hören Kinder heute zu oft in ihrer Familie? – Ich habe jetzt keine Zeit! Störe mich bitte gerade jetzt nicht! Haben sie auch schon jemanden erlebt, den sie ansprechen und das Gefühl haben, der ist in seinen Gedanken ganz woanders, der mit seiner Einstellung die Atmosphäre vergiftet? Unser aller Kernproblem ist, dass wir nicht präsent sind. Wenn sie ihrem Ehepartner gegenüber öfter sagen, sie haben keine Zeit, wird er beginnen ihnen zu misstrauen und wenn sie eines sagen und etwas anderes tun, wird er ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Wieso soll dies mit unseren Kindern anders sein? Eines müssen wir bedenken – unsere Kinder hören auch das, was wir nicht sagen.
Zuwendung: Was bedeutet Zuwendung? Zuwendung heißt sich dem Kind zu zuwenden, ihm die ganze Aufmerksamkeit schenken. Seien wir ehrlich, wie oft hören wir gar nicht zu, wenn das Kind nach Hause kommt? Ein Kind, besonders ein Kleinkind braucht keine Freundlichkeit, es fordert Nähe. Wir aber neigen dazu, unsere Kinder herum zu kommandieren! In späteren Jahren beklagen sich die Väter oder Mütter – „Ich verstehe mein Kind nicht – es hört mir gar nicht zu“ – Ja, muss ich nicht zuerst selbst zuhören, um mein Kind zu verstehen? Viele klagen, ich hab doch auf so viel verzichtet und alles für mein Kind getan. Beim Kind ist aber nichts Substantielles angekommen.
3. Zärtlichkeit: Wenn ich meinem Kind nur Zeit schenke, wenn es mir passt und dann wieder nur über meine Ideen und Wünsche erzähle, wie soll da eine Beziehung entstehen? Unter diesen Gegebenheiten ist Zärtlichkeit, also eine Vertrauensbeziehung und die so wichtige Bindung eines Kindes zu seinen Eltern gar nicht möglich! Prof. Neufeld sagt: Das Geheimnis elterlicher Erziehung besteht nicht darin, was die Eltern tun, sondern vielmehr darin, wer sie für das Kind sind. Für ein Kind, das eine gute Bindung zu uns als Eltern, als Lehrer hat, sind wir der Ausgangspunkt, um sich in die Welt zu wagen, der Rückzugsbereich, um sich fallen zu lassen und die Quelle seiner Inspiration. Alle erzieherischen Fertigkeiten können das Fehlen einer Bindungsbeziehung nicht ausgleichen, da die Liebe nicht durchdringen kann.
In heutigen Diskussionen über eine Bildungsreform spielen Eltern, und die Eltern-Kind Beziehung wenn überhaupt, nur eine Nebenrolle. In unserem Bildungssystem geht es um die Linderung der Folgen entfremdender Erziehung und aufgezwungener Bildung. Ich rege daher heute 2 Schwerpunktthemen an:
a, Die erste Schule der Bildung, die Familie einbinden: Die Eltern sind die ersten Bezugspersonen für ein Kind und tragen daher auch die Hauptverantwortung für die Beziehung zum Kind. Kinder brauchen eine stabile Bezugsperson, aber warum gelingt es so wenigen Müttern und Vätern diese stabile Bezugsperson zu sein? Warum gelingt es überhaupt so wenigen Paaren selber eine stabile Beziehung aufzubauen? Daher ist es oberste Priorität, Eltern und Elternschaft zu stärken und aufzuwerten. Dies ist ein erster wichtiger Schritt zur Lösung der psychischen und seelischen Probleme unserer Kinder und eine wesentliche Entlastung unserer Pädagogen.
b, Die pädagogische Ausbildung in ihren Inhalten zu überdenken: Pädagogen und Lehrer sind für Kinder nicht nur Betreuungs- oder Lehrkraft sondern genauso Orientierungsgeber. Allerdings bekommen Erzieher und Lehrer im Rahmen ihrer Ausbildung kaum bindungstheoretische Grundlagen. Schulen konzentrieren sich zu sehr und zu manipulativ auf den Lernprozess. Ein guter Pädagoge ist wie ein Gärtner, heute unterrichten die meisten Lehrer nach der Töpfermethode.
Die Töpfermethode fragt nicht nach der Motivation des Kindes und „Was braucht das Kind?“ Der entwicklungspsychologische Ansatz fragt: Wozu ist das Kind fähig? Was muss ich hinzufügen? Was muss ich ihm geben? Es geht dabei zuerst um menschliches Potential und erst in zweiter Linie um Talent und Begabung.
Mir ist bewusst, dass diese Betrachtungsweise der Bildung und Erziehung einen vollständigen Paradigmenwechsel erfordert. Übrigens, auch die OECD sieht Österreich „vor der Herausforderung, sein Erziehungssystem neu erfinden zu müssen“, allerdings nicht, wie ich meine nach den Vorstellungen der OECD, sondern nach den neuesten Erkenntnissen der Bindungsforschung, der Entwicklungspsychologie und Vereinigungsphilosophie.
Es ist für mich daher eine besondere Freude, Ihnen für November weltweit anerkannten Entwicklungspsychologe und Bindungsforscher anzukündigen. Prof. Dr. Gordon Neufeld, Leiter des Gordon Neufeld Campus in Vancouver, Kanada komm am 19. November Gastreferent zum True Family Award. Dazu sind auch Sie herzlich eingeladen.
Ich möchte mit einem Zitat von Heinrich Pestalozzi schließen, der sagte:
„Es ist unbestritten, eine Bildung im Elternhaus würde die Kraft des Volks allgemein beleben und millionenfach erhöhen.“
Danke für Ihre Aufmerksamkeit