Johann Wolfgang von Goethe soll gesagt haben: „Zwei Dinge sollten Kinder von Ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“
In diesem Zitat kommt hervorragend zum Ausdruck was Eltern wirklich brauchen – Wurzeln und Flügel! Denn, wie können Kinder Wurzeln und Flügel bekommen, wenn die elterlichen Wurzeln verkümmert und die Flügel beschädigt sind?
Die Entwicklungspsychologie und die Säuglingsforschung lehrt, dass die Beziehungsqualität zwischen Mutter – Vater – Kind von entscheidender Bedeutung ist. Die Beziehungskultur in der Familie bestimmt also die persönliche Entwicklung des Kindes. Dabei liegt die primäre Gestaltung der Beziehung bei den Eltern. Die Qualität der Beziehung der Eltern zueinander und der Beziehung zum Kind schafft den Raum und Rahmen und prägt die Entwicklung des Kindes. Ob ein Kind in einer konfliktträchtigen Atmosphäre aufwächst oder in einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens und Geborgenheit, macht den entscheidenden Unterschied. Eltern, die eine schwache oder gestörte Beziehung haben, werden schnell zu Opfern ihrer „schwierigen“ Kinder und sie sind mit der Erziehung auch sehr rasch überfordert. Erfährt ein Kind Vertrauen, wird es lernen zu vertrauen, erfährt es Misstrauen, wird es ihm schwerfallen im Leben auch anderen zu vertrauen.
Beziehungen entscheiden über die menschliche Entwicklung und die Beziehungskultur bestimmt die Lebensqualität. Durch die Erkenntnisse der Hirnforschung und Entwicklungspsychologie sind diese einfachen Aussagen in überzeugender Weise wissenschaftlich gesichert. Umso erstaunlicher ist deshalb die Tatsache, schreibt der deutsche Psychiater und Psychotherapeut, Dr. Hans-Joachim Maaz; dass in Politik und Wirtschaft dieses Wissen nicht ausreichend berücksichtigt wird und im menschlichen Zusammenleben psychosoziale Konflikte, Beziehungsängste und Feindseligkeiten den Alltag der Menschen mehr bestimmen als soziale Gemeinschaft, als die Erfahrung psychischer Verbundenheit und eines wechselseitigen emphatischen Verstehens.[1]
Durch empathisches Verstehen, Gespräch und die Erfahrung psychischer Verbundenheit wird das Leben jedes Kindes und Erwachsenen lebenswert. Nicht umsonst sagte der Schweizer Pädagoge Heinrich Pestalozzi: „Zur Erziehung der Kinder braucht man: Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit“. Sich Zeit zu nehmen, das Gespräch zu suchen und einander zuzuhören, wird in zerrütteten Familienformen, auf Grund tiefer Enttäuschungen und emotionaler Gräben, oft aber gar nicht mehr in Betracht gezogen.
Eltern sind in jeder Beziehung Vorbilder für die Kinder. Weniger ein Vorbild bei der Schulwahl und der Berufsorientierung des Kindes, vielmehr ein Vorbild an Authentizität, Glaubwürdigkeit, Loyalität und Verantwortungsbewusstsein. Diese Charaktereigenschaften sind keine Kompetenzen im Sinne von Fähigkeiten, die man erlernt. Eltern sollen authentisch, glaubwürdig, loyal und verantwortungsvoll sein. Der kanadische Entwicklungspsychologe Gordon Neufeld sagte, für Kinder ist es nicht wichtig was ihre Eltern tun, sondern wer sie sind – die Eltern. Wichtiger ist daher für sie, dass ihre Eltern loyal, ehrlich, glaubwürdig und authentisch SIND.
Für Kinder ist es nicht wichtig was ihre Eltern tun, sondern wer sie sind – die Eltern
Der Einfluss der Eltern, zum Guten oder Schlechten ist unbestritten, auch wenn Sozialwissenschaftlern immer wieder versuchen, dies in Frage zu stellen. Dieses Infragestellen ist u.a. ein Grund dafür, dass zirka 50 % der Eltern sich in der Erziehung unsicher fühlen und es schwierig finden, konsequent zu sein und Grenzen zu setzen. Viele Eltern fühlen sich nicht mehr ermächtigt, ihre Kinder auf dem Weg zur Selbstständigkeit zu führen. Erziehungsratgeber vermitteln uns Eltern ständig, dass wir nicht das dafür notwendige Wissen, die „notwendigen“ Fähigkeiten und pädagogischen Kompetenzen hätten.
Familienpolitik soll nicht darauf gerichtet sein, Eltern zu entlasten, da die „Last“ der Erziehung sehr subjektiv empfunden wird. Ich erinnere mich an ein persönliches Gespräch mit einer Mutter, die eine 25-jährige behinderte Tochter hatte. Auf meine Bemerkung, dass die Betreuung ihrer Tochter sicher eine große Belastung für sie wäre, antwortete sie umgehend „Nein!“ – Wenn die Tochter am Morgen die Stiegen herunterkommt, ist dies wie ein Sonnenaufgang. Andere Mütter wiederum, fühlen sich bereits überfordert, wenn das Kind schreit und keine Ruhe gibt.
Familienpolitik sollte daher stärker den Eltern vertrauen und die Rolle der Eltern ideell aufwerten und nicht nur einmal jährlich zum Internationalen Tag der Familie ein Loblied auf die Familie singen.
[1] Das falsche Leben – Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft, Hans-Joachim Maaz, C.H.Beck-Verlag